Autor: Jan Philipp Richter
Rubrik: THEORIE UND PRAXIS
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Inhalt: I-Media-Cities die Vergangenheit von Europas großstädten unter der lupe Jan Philipp Richter dE r f ilm in d E r s tad t Großstädte stehen seit jeher im Mittelpunkt europäischer Filmgeschichte. Das technische Medium Film wurde in den 1890ern von den Fotoindustriellen Lumière entwickelt - in Lyon. Thomas Edisons amerikanisches Konkurrenzsystem wurde durch Ludwig Stollwercks Deutsch-Oesterreichische Edison-Kinetoskop-Gesellschaft auf den deutschen Markt gebracht -in Köln. Die Brüder Skladanowsky, die mit dem Bioscop das erste deutsche Filmprojektionsgerät entwickelten, waren Berliner. Die frühen Filmvorführungen fanden ihr Publikum in den Varietés und Salons der Großstädte, bevor sie als fahrende Attraktionen den Rest des Landes erreichten. Nicht zuletzt wurden die Filmstudios in und um die europäischen Metropolen gegründet. d i E s tad t im f ilm Gleichzeitig wurde im Zuge dieser engen Verbindung die Stadt oft selbst zum Gegenstand des Films. Im Zuge der Industrialisierung wuchsen die europäischen Städte um die Jahrhundertwende in zuvor nicht gekanntem Ausmaß. Der Einzug der Moderne – und damit natürlich auch des Films als technische Kunst-und Ausdrucksform – bedeutete große Veränderungen in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft, die sich am deutlichsten in den Städten manifestierten. Seien es Architektur und Bau, Verkehr und Transportwesen, Handel, Freizeit, Tourismus und Veranstaltungen, sowie der ganz normale Alltag unter Hunderttausenden: Das neue Medium schien wie gemacht, um diese Umbrüche festzuhalten. s ymphoni E n für s täd t E Städte wurden im Film sogar so populär, dass man von einem eigenen Mikrogenre sprechen kann, den “City Symphonies”. Das sind aufwändig produzierte, stilisierte Dokumentarfilme, die nicht nur über Bildinhalte, sondern insbesondere in ihrer komponierten Form den Rhythmus der pulsierenden Großstädte einzufangen versuchten und somit gewissermaßen filmische Porträts von Städten schufen. Bekannte europäische Beispiele hierfür sind “Rien que les heures” („Nichts als die Zeit“, 1926) von Alberto Cavalcanti, der in den Alltag der Gassen von Paris eintaucht, Walther Ruttmanns emblematisch betitelter “Berlin: Die Sinfonie der Grossstadt” (1927) und nicht zuletzt Dsiga Wertows “....... . ....-.........” (“Der Mann mit der Kamera”, 1929) dessen furiose Montagekunst gleich vier Großstädte, nämlich Charkow, Kiew, Moskau und Odessa filmisch zu einer einzigen Metropole der Moderne verschmilzt. s täd t E im f ilmar chi V Natürlich endet die Beziehung zwischen Film und Stadt nicht mit diesen Höhepunkten, vielmehr kulminiert hier ihre Sichtbarkeit. Berühmte Filmwerke wie die „City Symphonies“ sind weithin verfügbar, auf DVD und Blu-ray verlegt und gut erforscht. Von den Filmen mit Stadtbezug, die bis in die Gegenwart überlebt haben, stellen sie jedoch nur die Spitze des Eisbergs da. In den europäischen Filmarchiven schlummern weit mehr Filme, unterschiedlichster Macharten und Herkunft, die sich mit Großstädten beschäftigen. Der Großteil dieses Materials ist für die Allge Jan Philipp Richter Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt am Main Projektkoordination I-Media-Cities Schaumainkai 41 60596 Frankfurt am Main +49 69961220 - 403 richter@dff.film Abbildung 1: Der Film in der Stadt (Scala Lichtspiele, Frankfurt, 1947) Abbildung 2: I-Media-Cities (Partnerstädte im Projekt) meinheit nicht ohne weiteres zugänglich und findet sich verstreut über die national oder gar regional organisierten Archive. Selbst wenn sie bereits digitalisiert wurden, sind diese Großstadtfilme selten als solche systematisiert, katalogisiert und erfasst worden. Es gibt keinen zentralen Zugangspunkt, der die geteilte filmische Vergangenheit Europas grenzüberschreitend und vergleichend erschließen lässt, nicht zuletzt dadurch steht auch die Forschung in diesem Bereich noch am Anfang. imEdiacitiEs An dieser Stelle möchte I-Media-Cities ansetzen. Das internationale Projekt wird von „Horizon 2020“, dem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, gefördert und hat Projektpartner in acht verschiedenen Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Österreich, Schweden, Spanien). Das Konsortium besteht aus neun europäischen Filmarchiven (Cinématèque Royale de Belgique, Brüssel, Det Danske Filminstitut, Kopenhagen, Deutsches Filminstitut, Frankfurt, Greek Film Archive, Athen, Museo Nazionale del Cinema, Turin, Cineteca Bologna, Österreichisches Filmmuseum, Wien, Svenska Filminstitutet, Stockholm, Filmoteca de Catalunya, Barcelona), kooperierenden Forschungseinrichtungen (University of Athens, Urban Center Metropolitano, Turin, Istituto per i beni artistici culturali e naturali, Bologna, Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft, Wien, Stockholms Universitet, Universitat de Barcelona), Technologiepartnern (CINECA, Bologna und Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie, Ilmenau) und einem digitalen Dienstleistungsspezialisten (IMEC, Löwen). Die Koordination des Projekts liegt bei der Cinématèque Royale de Belgique in Brüssel. ziEl dEs projEktEs Ziel des Projektes ist es, eine grenzüberschreitende, mehrsprachige europäische Plattform zu entwickeln, die kostenlosen und zentralen Zugang zu ausgewählten Teilen der Filmsammlungen der Archive ermöglichen soll. Im Mittelpunkt stehen dabei die Großstädte Europas, in denen wie oben ausgeführt Film sein Zuhause hat und in denen auch die teilnehmenden Filmerbe-Institutionen angesiedelt sind. Die für das Projekt ausgewählten Filme, die vorher im besten Fall lokal zugänglich waren, sollen zusammengestellt und für die große Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, um so eine der größten unerschlossenen Quellen zur Geschichte Europas im vergangenen Jahrhundert nutzbar zu machen. Ziel ist es, neue Wege auftun, Nutzergruppen zu erreichen, zu involvieren und das europäische Kulturerbe zu erschließen. Zu den Zielgruppen gehören (Amateur-)Historiker mit Schwerpunkt Stadtgeschichte, Lehrerinnen, Dozenten, Studierende, Touristen, Stadtführerinnen und Fremdenverkehrsbüros, Architekten, (lokale) Presse und Nachrichtenagenturen sowie Wissenschaftlerinnen aus den unterschiedlichsten Bereichen (Kulturanthropologie, Sozialgeschichte, Film und Medien usw.). tEchnischE hintErgründE und anfordErungEn Die technische Entwicklung der Plattform liegt beim universitären Konsortium CINECA in Bologna, die für I-Media-Cities sowohl ein großes digitales Repositorium für die filmischen Daten erstellt haben, als auch eines für Metadaten. Die Zulieferung von aufbereiteten Inhalten und grundlegenden Metadaten wird dann von den Archiven individuell geleistet. CINECA entwickelt weiterhin die Interfaces für die dynamischen Visualisierungen von Content & Metadaten sowie die semantischen Suchmaschine, um auf Daten und Inhalte zugreifen zu können. Grundsätzlich sind für I-Media-Cities zunächst zwei eenvironments konzipiert, eines für die generelle Öffentlichkeit sowie ein weiteres für Forschung und Lehre. Die beiden Ebenen unterscheiden sich nicht nur durch die Möglichkeit der Rechtekontrolle, sondern auch in den erweiterten Möglichkeiten der wissenschaftlichen Arbeitsumgebung, die individuelle workspaces und zusätzliche Speicherfunktionen sowie angepasste Tools für manuelle Annotation, tagging, und Kommentierung bieten soll. Zentrales Feature des Projekts ist schließlich die Entwicklung und der Einsatz digitaler Video-Annotations und -Analysetools, die einen neuartigen Umgang mit dem filmischen Erbe unterstützen sollen. BEitrag dEs dEutschEn filminstituts Das DIF, das in Frankfurt am Main ansässig ist, hat zunächst das Metadatenmodell für I-Media-Cities entworfen (basierend auf dem Modell der Plattform European Film Gateway) und steuert Filme mit Bezug zur Vergangenheit der hessischen Großstadt bei. Die ersten Produktionen sind zwei Filme der Gebrüder Lumière aus dem Jahr 1896, die allerersten Aufnahmen, die es überhaupt aus der Stadt gibt. Weitere I-Media-Cities Filme widmen sich dem Neuen Bauen der 1920erJahre, dem historischen Frankfurt vor dem 2. Weltkrieg, der Nachkriegsinnenstadt sowie der Entwicklung der modernen Großstadt inklusive des U-Bahnbaus bis in die 1970er. Das Gros des Konvoluts besteht dabei aus Dokumentarfilmen, Werbefilmen der Stadt Frankfurt sowie Amateurproduktionen. Anhand von Fotos soll zudem die Frankfurter Kinogeschichte als Teil der Stadtgeschichte beleuchtet werden. Dafür stehen aus den ersten 90 Jahren des 20. Jahrhunderts ca. 500 Fotos zur Verfügung. Mögliche Forschungsthemen sind neben der Kino- und Filmtheatergeschichte, der frühe soziale Wohnungsbau, Stadtplanung und -entwicklung, die Zerstörungen des 2. Weltkriegs und Wiederaufbau sowie Transport und Infrastruktur am Drehkreuz Frankfurt. aut omatisch E Vid E o a n alys E t ools Der Einsatz von Video-Analysetools, die der automatischen Erzeugung von Metadaten und Annotationen dienen und somit einen echten Mehrwert zu einer lediglich kuratierten Videoplattform bieten, ist ein zentraler Baustein von I-Media-Cities. Die Tools wurden vom Fraunhofer-Institut für digitale Medientechnologie in Zusammenarbeit mit CINECA entwikkelt. Insgesamt gibt es fünf unterschiedliche bilderkennende Verfahren. Qualitätseinschätzung und -bewertung (Quality assessment) Dieses grundlegende Tool bewertet auf Frame-Ebene den technischen Qualitätszustand der digitalen Filmkopie und beispielsweise gibt aus, ob blockbuilding, Über- oder Unterbelichtung, Bildrauschen oder interlacingArtefakte vorliegen. Das beisteuernde Archiv wird daraufhin vom System automatisch informiert. Diese Funktionalität wird nicht auf der Benutzerebene ausgegeben. Einstellungserkennung (Shot detection) Die Shot Detection Tools sind dafür geeignet, Einstellungswechsel anhand von Schnitten, also hard cuts, zu erkennen. Die im Projekt verfügbaren Filme werden somit automatisch sequenziert, und Nutzer-innen können von Einstellung zu Einstellung springen. Gleichzeitig lassen sich so für bestimmte Nutzergruppen relevante Metadaten und Statistiken generieren: Aus wievielen Einstellungen setzt sich ein Film zusammen, wie lange wurden diese gewählt usw. Wird ein Schnitt erkannt, so liegt die Zuverlässigkeit einer korrekten Erkennung bei ca. 90 %. kamerabewegungserkennung (Camera Motion detection) Dieses Tool ermittelt Kamerabewegungen im Film-bild auf Basis von Erkennungsraten. Neun mögliche Kamerabewegungen können innerhalb von Einstellungen beschrieben werden (keine Bewegung, Schwenk nach oben/unten/links/rechts, Bewegung/ Zoom nach vorne/hinten, Drehung im/gegen den Uhrzeigersinn). Das Tool legt dabei Wahrscheinlichkeitswerte für jede Bewegung fest und gibt dann jene mit der höchsten Sicherheit aus. Auch diese automatisch generierten Metadaten sind vor allem für spezifische Belange relevant, beispielsweise filmhistorische Betrachtungen. Abbildung 3: I-Media-Cities (Partnerstädte im Projekt) Abbildung 4: Kamerabewegungserkennung objekterkennung (Concept detection) Die Objekterkennung ist eines der zentralen Features der von Fraun hofer entwickelten Tools. Erfasst werden können dabei 80 Konzep te, die zu Beginn des Projektes de finiert wurden und die für stadt bezogene Inhalte relevant sind. Trainiert wurde dieses Werkzeug anhand großer öffentlich zugäng lich und frei verfügbarer Fotosets über Flickr und Google Images. Die Software arbeitet auf Einzelbildebene (und somit auch mit Fotografien) und bewertet in jedem Frame eine Erkennungssicherheit für jedes der Konzepte. Neben der „indication of confidence“ wird weiterhin jedem Konzept eine Position im Rahmen des Filmbilds/Fotos und eine UID zugewiesen. Wird ein Konzept in zehn aufeinanderfolgenden Frames erkannt, so erhält es dieselbe ID. Somit lassen sich Konzepte innerhalb einer Einstellung festlegen, Objekte verfolgen. gebäudeerkennung (Building recognition) Die automatische Erkennung von 54 bedeutsamen und ikonischen Gebäuden in den Partnerstädten, die zu Beginn des Projekts ausgewählt wurden, wie beispielsweise des Frankfurter Römers oder der Paulskirche, ist der experimentellste Teil der automatischen Analysetools. Da um die Tools zu trainieren lediglich eine begrenzte Menge an Fotosets vorlag, sind hier schlechtere Erkennungsraten zu erwarten. Vorerst wird dieses Analysetool daher nicht angewandt. Eine Optimierung der Erkennungsrate ist jedoch auch nachträglich möglich, sofern weitere Trainingssets von den Partnern zur Verfügung gestellt werden. hE rausf ord E r un g E n & aus B lick Beim Einsatz der besprochenen Tools kommt es mitunter zu Schwierigkeiten auf technischer Ebene: Während beispielsweise „harte“ Schnitte (vollständiger Wechsel des Bildinhalts von einem Frame zum nächsten) zuverlässig erkannt werden, sind Einstellungswechsel nach Blenden oder weichen Übergängen, die zum Standardrepertoire filmischer Stilmittel gehören und somit dem menschlichen Auge vertraut sind, für das System nicht zu erkennen, weil sich die Bildinhalte hierbei graduell verändern und es eine Vielzahl an Möglichkeiten gibt, wie Blenden auf der Filmbildebene umgesetzt werden. Da im Projekt fast ausschließlich mit historischem, gealterten Filmmaterial gearbeitet wird, das in der Digitalisierung meist nicht restauriert wurde, sind für das Shot Detection Tool oft Bildfehler oder verlorene Frames nicht von tatsächlichen Einstellungswechseln zu unterscheiden. Um Falsch- oder Nichterkennungen nachträglich manuell zu korrigieren, wurde ein Shot Revision Tool entwickelt. Auch in anderen Bereichen genügt es nicht, sich ausschließlich auf die maschinengenerierten Informationen zu verlassen. Die Konzepterkennung kann mitunter eine so große Anzahl an Objekten erkennen, dass der Nutz-wert eingeschränkt ist. Zudem wird durch die Auflistung der so generierten Annotationen der sichtbare Bereich der Arbeitsoberfläche ggf. deutlich eingeschränkt wird. Hier muss darüber nachgedacht werden, welches Maximum für welches Konzept sinnvoll einsetzbar ist. Außerdem sind manche automatisch generierten detections möglicherweise nur für bestimmte Nutzergruppen interessant, vor allem die Einstellungserkennung oder die Kamerabewegungserkennnug. Weiterhin stellt sich die Frage, inwieweit Einzelbildanalysen oder Einstellungsauswertungen nötig bzw. brauchbar sind, wenn Nutzerinnen in erster Linie grundlegende Informationen zum Filmwerk als Ganzem suchen. Daher baut I-Media-Cities nicht ausschließlich auf die maschinelle Generation von Metadaten, sondern bietet insbesondere auf der Forschungsebene der Plattform Nutzern an, nicht nur Korrekturen der automatisch generierten Daten vorzunehmen, sondern stets auch die manuelle Eingabe. s tand d E r d in g E Die I-Media-Cities-Website ist online (www.imediacities.eu), und für akkreditierte User bereits vollumfänglich nutzbar. CINECA hat in Bologna das Datenrepositorium entwickelt, in das die Partner Filme hochladen können. Die Inhalte sind mittlerweile fast vollständig dort angelegt. Auch das Metadaten-Repositorium steht bereit (Metadaten-Modell basiert auf European Film Gateway). Dort sind sowohl die von den Archiven gelieferten Metadaten integriert als auch die automatisch generierten der oben beschriebenen Video-Analyse und -Annotationswerkzeuge, deren Entwicklung abgeschlossen ist. Mehrere Testing-Zyklen wurden abgeschlossen. n ächs t E s chritt E Ein letztes „Living Lab“ für die allgemeine Öffentlichkeit soll als praxisnaher Testfall dienen, um Funktionalitäten der Tools zu überprüfen und ggf. anzupassen, zeitgleich sollen dabei Nutzerinteressen eruiert werden, die für Nachnutzungskonzepte und -finanzierung relevant sind. Weiterhin werden die beteiligten Archive die noch ausstehenden restlichen Inhalte und korrespondierende Metadaten aufbereiten und in das System hochladen. Zusammen mit den universitären Partnern sollen weiterhin Forschungsszenarien entwickelt und die Plattform für erste wissenschaftliche Modellarbeiten genutzt werden. Weiternutzungskonzepte, die Betrieb und Aufrechterhaltung der Plattform sicherstellen sollen, werden auf Basis der Erkenntnisse der Living Labs entwickelt. Die Fertigstellung des Projekts folgt Ende März 2019, wenn die I-Media-Cities-Plattform mit allen Inhalten und Funktionalitäten online geht. •